Ein Jahrhundertprojekt Hochwasserschutzprojekt Kapfschlucht

Aufweitung der Kapfschlucht 1914

Im Dezember 2022 wurde mit den Bauarbeiten zur Aufweitung der Kapfschlucht für einen besseren Hochwasserschutz gestartet. Diese Baumaßnahmen stellen eine Fortsetzung der bereits ersten Verbreiterung der Illschlucht in den Jahren 1914/1915 dar. Weshalb, wann und wie damals in der Kapfschlucht gebaut wurde, dokumentieren zahlreiche Akten im Stadtarchiv. Immerhin sechs Archivkartons geben Auskunft darüber.

Im Juni 1910 kam es nach langen Regenfällen und gleichzeitig einsetzender Schneeschmelze zu einem Hochwasser, das infolge der Stauung der Wassermassen in der engen Kapfschlucht zu einer Überschwemmung der ganzen Stadt Feldkirch führte. Vor der Schlucht entstand ein Stausee, der das ganze Stadtgebiet umfasste. Im Sommer 1910 kam es zu einer Besichtigung der Stadt und der Kapfschlucht durch hohe Beamte und Techniker, die nach den Ursachen des Unglücks forschten und nach baulichen Lösungen für einen langfristigen Hochwasserschutz suchten. Als Ursache für den Rückstau wurde die von Felsen eingeengte Schlucht im Kapf wie auch die Kapfbrücke erkannt. Die Stadt richtete an den Landesausschuss, den Vorgänger der Landesregierung, die Bitte um Erarbeitung einer Studie durch das Landesbauamt, das wegen Arbeitsüberlastung aber ablehnen musste. Die Stadt beauftragte daraufhin ihren langjährigen Wasserbauexperten, Ing. Adolf Telorac von der Firma Widmann und Telorac aus Kempten, mit der Erstellung einer Studie. Bereits am 21. September 1910 konnte Ing. Telorac sein Projekt vorstellen, das eine Verbreiterung der Kapfschlucht, die Entfernung der Felsen und die Absenkung der Flusssohle vorsah. Durch diese Maßnahmen sollte ein schnellerer Durchfluss der Wassermassen erreicht werden. Diese Planung wurde daraufhin dem Vorarlberger Landtag mit der Bitte um Schaffung gesetzlicher Regelungen für dieses Großbauprojekt übergeben. Zwei Fachleute, darunter der ehemalige Rheinbauleiter Theodor Pawlik, begutachteten das Projekt und machten Verbesserungsvorschläge. Bereits am 11. Februar 1911 konnte zu einer kommissionellen Verhandlung eingeladen werden und nach längeren Verhandlungen bewilligte die Bezirkshauptmannschaft schon am 22. Juni das Bauprojekt. 1912 und 1913 wurde das Bauprojekt überarbeitet, der Finanzierungsschlüssel zwischen Stadt, Landtag und den Wiener Ministerien beraten und Kostenvoranschläge ermittelt. Die Unkosten des Gesamtprojektes wurden auf gewaltige 800.000 Kronen geschätzt. Die aus Vorarlberg stammenden Reichsratsabgeordneten Jodok Fink und Martin Thurnher traten als erfolgreicher Vermittler zwischen Feldkirch und den Wiener Ministerien auf. Um einen möglichst raschen Baubeginn zu ermöglichen, erklärte sich die Stadt bereit, bis zur Sicherstellung der Landes- und Staatsbeiträge das Baukapital vorzuschießen. Ein mutiger Schritt. 

Hochwasserkatastrophen im öffentlichen Gedächtnis

Die Katastrophe 1910 war für die damalige Generation und ihre Nachkommen ein Trauma, das sie ein Leben lang begleitete. Liest man das Gutachten zum Schutzprojekt 1911/14 fällt auf, dass auch frühere Hochwasser in Erinnerung blieben. Das Jahrtausendhochwasser 1762, das den ganzen Alpenraum verheerte, wurde in einer lokalen Kapuziner-Chronik benannt – jedoch ohne genaue Details. Die Hochwasser 1851 und 1891 wurden mit Wasserstand und Schäden beschrieben.

Bürger drängen auf Baubeginn

Während im Hintergrund die Finanz- und Kompetenzverhandlungen liefen, war die Geduld der Feldkircher, insbesondere der Bewohner der Vorstadt 1912 am Ende. Am 4.11. fand eine Versammlung der Bürger statt, bei der die Wünsche nach raschem Baubeginn, die Frustration gegenüber den Behörden und Politikern in Bregenz und Wien offen vorgebracht wurden. Es herrschte auch Panik bei den Hausbesitzern. Drei kleine Hochwasser hatten 1912 die Keller geflutet, ein Handwerker fürchtete um seine Existenz. Grundtenor war der Wunsch nach dem sofortige Bau einer Kaimauer in der Vorstadt, besonnene Männer wie Baumeister Hilti verwiesen auf die Felsen in der Schlucht als größte Gefahr. Am Ende der Versammlung sprach der damalige Stadtrat Franz Unterberger, der die Bürger über den neuesten Stand der Verhandlungen und die weitere Vorgehensweise sachlich informierte. Ein erster Beweis der politischen Führungsqualitäten des zukünftigen Bürgermeister Unterberger.

Umsetzung der Pläne

Bei der Ausschreibung erhielt die Wiener Firma Mayreder, Kraus & Co. den Zuschlag für ihr Offert in Höhe von 600.000 Kronen. Die Oberaufsicht über das Bauprojekt hatte eine Kontrollkommission, die sich erstmals am 9. Jänner 1914 traf. Ihre Hauptaufgabe war die Klärung von Meinungsdifferenzen zwischen der Baufirma und den Projektverantwortlichen. Im Herbst 1913 wurde mit dem Bau begonnen. Die Bauleitung übernahm der Landesoberingenieur J. Fritsch, die lokale Bauaufsicht der Feldkircher Stadtbaumeister Herles.

Unruhiges Jahr 1914

Am 5.2.1914 kam es zu einem Streik der Bauarbeiter bei der Illschluchterweiterung. In einer bei einer Arbeiterversammlung verabschiedeten Resolution hielten die Arbeiter ihre Forderungen fest. Gerichtet war diese Resolution an den Landesausschuss, den Gewerbeinspektor, den Bezirkshauptmann und die Feldkircher Gemeindevertretung. Sie protestierten gegen die mangelnden Schutzvorrichtungen, den Mangel an Verbandsmaterial und das Fehlen einer heizbaren Baracke, wodurch sie das Essen in der Kälte einnehmen mussten. Weiters beklagten sie sich wegen Lohnabzügen und überlangen Arbeitszeiten. Sie verglichen die auf der Baustelle bezahlten Löhne mit denen anderer Vorarlberger Bauunternehmen. Die Baufirma sah als Ursache für den Streik die Abneigung gewisser Arbeiter gegen einen neuen Partieführer. Auch das Parteiorgan der Sozialdemokraten, die Vorarlberger Wacht, berichtet über den Streik und die Arbeits- und Lohnverhältnisse auf der Baustelle. Unbekannt ist, wie die Einigung zwischen Arbeitern und Baufirma zustande kam. In Feldkirch wurde im Vergleich zum Vorarlberger Unterland eher selten gestreikt. 1907 fand ein eintägiger Streik in der Spinnerei Gisingen, 1920 bei Ganahl und beim Landesgericht statt.

Kriegsbedingter Unterbruch

Der Kriegsausbruch im August 1914 führte zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten. Die leitenden Ingenieure, Vorarbeiter, Maschinisten und Schlosser der Baufirma wurden eingezogen und die Anlieferung von Baumaterial mit der Eisenbahn unterbrochen. Die Stadt forderte die Fa. Mayreder, Kraus auf, zumindestens den Tunnel fertigzustellen und die Kapfstraße für den Verkehr freizugeben. Am 14. November beschloss die Kontrollkommission die Fertigstellung der wichtigsten Bauarbeiten wie die Fertigstellung des Wasserstollens und die Ausweitung der Illschlucht unter der Kapfstraße an der engsten Stelle bei Niederwasser. Da der Bauleiter Oberingenieur J. Fritsch zum Kriegsdienst einrücken musste, übernahm der k.k. Bezirks- und Oberingenieur in Feldkirch, Martin Gelbwachs, die Bauleitung. Ende Dezember waren bei der linksseitigen Ufermauer zwischen 14 und 50 Arbeiter, beim Stolleneinlauf zwischen 20 und 30, beim Stollenauslauf zwischen 20 und 37 und in der Kapfschlucht 22 bis 23 Arbeiter beschäftigt. „Manpower“ war also ausreichend vorhanden. Schon im Winter 1914/15 wurde mit den Abrechnungen begonnen und auch die am Projekt beteiligten lokalen Bauunternehmen wie die Gebrüder Hilti und der Zimmermeister Alois Allgäuer bezahlt. 

12.700 Kubikmeter abgetragen

Ein wichtiges Ziel war die Entfernung der gewaltigen Felsmassen im Illbett und im Uferbereich da sie bei einem Hochwasser den Wasserabfluss hemmten und Mitschuld am Rückstau 1910 hatten. Während der ganzen Bauperiode 1914/15 fanden diese Sprengungen an den oberhalb der Wasseroberfläche befindlichen Felsen statt. Gebohrt wurde mit Presslufthämmern, abgetragen wurden 12.700 Kubikmeter an Felsmaterial. Das Sprengmaterial wurde teils für den Bau der Ufermauern, teils unterhalb der Kapfschlucht für den Bau von Hochwasserdämmen verwendet. Eine von einer Dampflokomotive gezogene Schleppbahn brachte das Steinmaterial zu den Hochwasserdämmen.
Kaum sichtbar ist der für die Bauarbeiten unabdingbare Wasserableitungsstollen, der durch den Ardetzenberg geschlagen wurde und das Illwasser aus dem Flussbett ableiten sollte. Die Bauleitung ließ ihn in weiser Voraussicht bereits größer ausbrechen, da man den Bau eines Verbindungskanals zwischen den Stadtwerken und dem Kanal der Firma F.M. Hämmerle ins Auge gefasst hatte. Der Durchschlag des Stollens erfolgte am 25. März 1914. Die Bohrung für den 287 Meter langen Stollen erfolgte mittels Presslufthämmern. Fertigstellung des Stollens war am 13. März 1915. 

Straßentunnel errichtet

Die Verbreiterung der Kapfschlucht zu einem gleichmäßigen Fllussgerinne hatte die Verlegung der Kapfstraße an einigen Stellen zur Folge. Da am Ende der Kapfschlucht der Fels sehr brüchig war und damit eine Gefährdung des Verkehrs bestand, wurde ein Straßentunnel geplant. Dieser Straßentunnel wird bis heute von den Stadtbussen genutzt. 
Ende März wurde mit dem Bau eines Sohlstollens begonnen, der Durchschlag erfolgte am 27. April 1914. Das wasserdurchlässige, mit Lehmschichten durchzogene Gestein bereitete beim Vollausbruch große Probleme sodass man sich in Ringen von zehn Metern Länge vorarbeitete. Mit einer Ausnahme ist der Straßentunnel mit Bruchsteinen in Zementmörtel ausgestaltet. Der Tunnel hat eine Länge von 80 Metern und eine Höhe von fünf Metern. Am 15. März 1915 war der Tunnel fertiggestellt. Während des Zweiten Weltkrieges soll der Tunnel als Luftschutzstollen gedient haben. 

Heiligkreuzbrücke verlängert

Das Gewölbe der Heiligkreuzbrücke musste aus Sicherheitsgründen unterfangen und verlängert werden. Die lichte Weite der Brücke wurde von 19 auf 23 Meter erweitert, um den Durchfluss der Ill an dieser Stelle zu erleichtern. Am 5. Jänner 1915 fand die Begehung statt. Den Bauauftrag erhielt die damals bekannte Vorarlberger Baufirma Heimbach & Schneider aus Hard. Teil des Schutzprojektes war der Bau von Ufer– und Stützmauern im Stadtgebiet oberhalb der Illschlucht. Diese Mauern begannen am linken Ufer unterhalb der Kaiser-Franz-Josefs-Brücke bis zur Heiligkreuz-Brücke. Am rechten Illufer begann die Mauer beim Auslauf des Elektrizitätswerkes, wurde bis zur Kaiser-Franz-Josefs-Brücke und von dort bis zum Haus Andergassen bei der Churerstrasse fortgesetzt. Die Mauern wurden auf ein 1,5 m starkes Fundament aus Beton aufgesetzt und in Bruchsteinmauerwerk hergestellt, den Abschluss bildete eine Brüstung aus Portlandzement.  Die damaligen Planer haben ihre Leistungen für die Nachwelt dokumentiert. Oberingenieur Gelbwachs veröffentlichte ein kleines Büchlein zur Baugeschichte und ließ den Zustand der Kapfschlucht vor Baubeginn wie auch den Baufortschritt von einem Fotografen dokumentieren.

Weiterbau nach Kriegsende

Kriegsbedingt und wegen der Geldknappheit wurde der Bau in den darauffolgenden Jahren eingestellt. Das Hochwasser des Jahres 1922 machte jedoch allen klar wie wichtig die Fortsetzung der Bauarbeiten beim Hochwasserschutz war. Die Stadt Feldkirch und das Land Vorarlberg konnten in Wien die Ministerien zur Mitfinanzierung der Baumaßnahmen überreden.1922/23 wurden durch das Stadtbauamt die Sprengarbeiten in der Kapfschlucht fortgesetzt und an den Ufermauern im Stadtbereich weiter gearbeitet. Die Bauleitung übernahm von 1923 bis 1928 Regierungsbaurat Ing. Ratz, der die Sprengarbeiten in der Schlucht und auch im Sohlbereich fortsetzte, die Mauern in der Schlucht errichten ließ und die Ufermauern im Stadtbereich vom Landesgericht aufwärts fertigstellte. Auch der Verbindungskanal wurde fertiggestellt und damit das alte Wehr des Hämmerle Kanals abgebrochen. Damit war eine weitere Staugefahr bei Hochwasser beseitigt. Beim Hochwasser 1927 konnte eine Senkung des Wasserspiegels um zwei Meter und ein Passierung des Wassers durch die Schlucht ohne Sturzwelle beobachtet werden.